Business Punk

Spielhölle, Hölle, Hölle

Das ist Wahnsinn: Dustin Beck hat mit dem Gratisgame „League of Legends“ die Königsklasse des E-Sports geschaffen. Und die reißt mehr Zuschauer mit als die NBA

Es gibt Namen, die stehen für eine ganze Sportart: Bernie Ecclestone etwa ist die Formel 1. Der Weltfußball – ist Sepp Blatter. Beide keine Sympathen, aber unbestritten Männer mit immenser Macht, die bestimmen, wie sich eine Sportart entwickelt und wer daran verdient. Dustin Beck möchte genau da hin. Der eher klein gewachsene Mann mit kräftigen Unterarmen und festem Händedruck ist Anfang 30 und Vizepräsident des kalifornischen Computerspieleherstellers Riot Games. Einer, der anpackt und in nur fünf Jahren aus einem Unternehmen, das aus nichts als einem Gratis-Computerspiel bestand, eine transmedial aktive E-Sport-Liga geformt hat, die mit ihren Events weltweit Millionen Menschen erreicht. Und er, der Quereinsteiger Beck, steht als oberster Funktionär an ihrer Spitze.

Beck sitzt jetzt im Backstage-Bereich mit offenem Kragen und hochgekrempelten Ärmeln auf einer schwarzen Ledercouch. Pose: entspannt. Alles läuft nach Plan. Keine Vorfälle, keine abgerissene Internetverbindung wie bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren. Die Spiele sind im vollen Gange. Die Menge tobt. Riot Games hat die weltweite Gamer-Gemeinde Mitte Mai zum Allstar-Weekend ins Pariser Le Zénith geladen. In die bedeutendste Veranstaltungshalle Frankreichs.

Hier zocken gerade die talentiertesten Gamer gegeneinander, die die Welt zu bieten hat, im Fünf-gegen-fünf-Modus des Fantasy-Strategiespiels „League of Legends“. Schmächtige Typen mit großen Köpfen, die auf bunter LED-Bühne hinter, unter und zwischen riesigen Bildschirmen verschwinden, während sie mit Maus und Keyboard schwer bewaffneten Fabelwesen Befehle erteilen. Lautstark und frenetisch angefeuert mit Sprechchören, aufblasbaren Leuchtstäben und Jubelgeschrei von vor Euphorie schwitzenden Fans. 5 000 an der Zahl, ausverkauft. 39 Euro das Ticket.

„Echt absurd, aber extrem geil“, schreit Beck gegen den immer wieder einsetzenden Szenenapplaus an und ist überrascht, dass Computerfreaks so mitfiebern können: „Für einige ist dies die erste Sportveranstaltung, auf der sie jemals waren. Ich war mir anfangs nicht einmal sicher, ob sie überhaupt wissen, wie man jubelt.“ Aber sie jubeln – und wie; in Merchandise-Vollausstattung mit Chipstüten in der einen und Softdrinks in der anderen Hand.

Aus Nerd-Happenings sind Mainstream-Events geworden. „Sportveranstaltungen“, wie Beck sagt. Ein Zuschauerspektakel mit professionellen Athleten, Live-Übertragung, Preisgeldern und Sponsorenverträgen in Millionenhöhe. Und das alles basierend auf einem Gratisspiel aus dem Internet. „League of Legends“ ist eine sogenannte Moba, was für „Multiplayer Online Battle Arena“ steht. Ein Online-Strategiespiel, bei dem sich zwei Teams gegenüberstehen. Das Ziel ist, sich in Gestalt einer der 115 zur Verfügung stehenden Fabelkreaturen durch einen verwunschenen Wald zu kämpfen, um den Hauptsitz der gegnerischen Mannschaft, „Nexus“ genannt, zu zerstören.

„League of Legends“ ist free to play. Monetarisiert wird später, wenn das Spiel den Gamer schon längst gepackt hat. Ganz behutsam wird in Form von Mikrotransaktionen für neue Spielercharaktere gezahlt, sogenannte Champions, für Kostüme mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Tutorials und so weiter. Kleinbeträge, die sich im vergangenen Jahr zu einem Umsatz von 624 Mio. Dollar summiert haben. Noch reicht das wegen der hohen Investitionen in das Game, die Liga und Events nicht, um Riot profitabel zu machen. Aber langsam nimmt Becks Imperium Form an.

Seit dem Start im Oktober 2009 haben sich 85 Millionen User registriert. 27 Millionen davon spielen täglich. Damit ist „League of Legends“ das meistgespielte Onlinegame der Welt. Und kein anderes Spiel zieht so viele Zuschauer zu Live-Streams vor die Computerbildschirme und zu Live-Events in die Hallen.

Das Staples Center in Los Angeles mit rund 10 000 Sitzplätzen – normalerweise Spielstätte zweier NBA-Teams und eines NHL-Clubs – war vergangenen Herbst innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Anlass: die Finalspiele der League of Legends World Championships. Ein kunterbuntes Megaspektakel, live übertragen in 145 Länder, verfolgt von 32 Millionen Zuschauern. Zum Vergleich: Die NBA-Finals verfolgten im gleichen Jahr 26 Millionen Zuschauer. Und der Super Bowl, die größte Sportshow der Welt, ist mit seinen 100 Millionen zumindest in Sichtweite.

„,League of Legends‘ ist zu einer wahnsinnigen Macht geworden“, erklärte kürzlich Erik Martin gegenüber der Videospiel-Website „Gamespot“. Er muss es wissen, denn Martin ist Geschäftsführer von Reddit, wo die Diskussionen über „LoL“ – wie die Fans ihr Spiel nennen – stattfinden. Was aber viel beeindruckender sei, so Martin, außerhalb der „LoL“-Foren hätten die meisten Menschen noch nie von dem Spiel gehört. Das will Beck jetzt ändern. Partner mit großer Reichweite wie der US-Sender HBO sollen ihm dabei helfen. Im Frühjahr lief drei Wochen lang vor dem Start der neuen „Game of Thrones“-Staffel bei HBO ein Mash-up-Trailer, der die Darsteller der Serie zusammen mit den computeranimierten Helden von „League of Legends“ zeigte. Exklusive Previews lockten „Game of Thrones“-Fans auf die Website des Onlinegames. Die will Beck nun zu Kunden machen.

Um das kurz richtigzustellen: Beck hat Riot Games nicht gegründet. Das waren 2006 sein Bruder Brandon und Marc Merrill. Heute sind sie CEO und Präsident von Riot. Die Mehrheitsanteile an dem Unternehmen hält mittlerweile Chinas größte Internet- Company Tencent. Die ermöglichte den Kaliforniern den Eintritt in den asiatischen Markt inklusive Südkorea, der Geburtsstätte des E-Sports.

Vor seinem Aufstieg zum E-Sport-Funktionär war Beck Berater bei der Risikokapitalgesellschaft Vista Equity Partners und später im Bereich Investmentbanking für Goldman Sachs tätig. Als er 2009 zu Riot kam, fand er einen unübersichtlichen, aber florierenden E-Sport-Markt vor. „Kaufkraft und Kaufbereitschaft waren da. Immerhin existiert E-Sport schon seit 15 Jahren. Es gab aber keine organisierte Struktur. Keine Kontinuität. Nicht einmal einen Spielplan“, erinnert er sich. „Bevor wir die League Championships Series 2012 gründeten, gab es für keinen einzigen E-Sport-Titel eine eigene Liga. Keine verlässlichen Übertragungskanäle. Keine Spielerprofile und dadurch auch keine Möglichkeit, Fan eines Teams zu werden“, sagt Beck. Dies sei aber wichtig, um dem elektronischen Sport Reichweite und Popularität zu verschaffen. Seitdem wird bei Riot fleißig an der Infrastruktur für E-Sport gebastelt.

Recht bald wurden nett aufbereitete Spielerporträts gedreht, mit extrovertierten Gamern wie Carlos „Ocelote“ Rodríguez Santiago. Einem jungen Spanier, gut aussehend, der auf dem Podium seinen Bildschirm zusammenschreit und in Tränen ausbricht, wenn ein Spiel verloren geht. Dazu eine kleine Homestory, die zeigt, wie der erst 23-Jährige dank seines Spieltalents, Preisgeldern und Sponsorenverträgen das Haus seiner arbeitslos gewordenen Eltern abbezahlt.

Bei Turnieren, Werbespots, aber auch bei täglichen Trainingseinheiten halten inzwischen Kameras erbarmungslos auf die Gesichter der Athleten. Und wer noch mehr Nähe zu seinem Star sucht – dank Point-of-View-Cam kann jeder den Wettkampf aus Sicht des derzeitigen Superstars der Liga, des 18-jährigen Südkoreaners Lee „Faker“ Sang-hyeok erleben.

Fankult, Legendenbildung, Geschichten über Spieler, Teams und Rivalitäten – für Riot sind die Athleten wichtiger Bestandteil des Asset-Portfolios geworden. „Unsere Pros sind eines der wichtigsten und sichtbaren Elemente unseres Sports“, so Beck. Botschafter, Multiplikatoren, die das einzige Produkt bewerben, das die Company besitzt.

Entsprechend wird investiert. Riot finanziert die Mannschaften pro Saison, die gerade mal zehn Wochen andauert und im Jahr zweimal ausgetragen wird. Jeder Spieler eines Teams erhält 12 500 Dollar zuzüglich Preisgeldern. Der Gewinn der Weltmeisterschaft brachte dem Team SK T 1 2 um Faker 2 Mio. Dollar ein. Der Titel „Most Valuable Player“ des Turniers Faker selbst weitere 8 000 Dollar.

Visa, Flüge, Unterkunft – Riot kümmert sich um alles. Auch das Media-Training für den richtigen Umgang mit der Journaille. Trainiert wird zwölf, dreizehn Stunden am Tag. Immer unter den Augen der Kameras. Das Bild des Athleten ist dann in einem kleinen Fenster auf dem Bildschirm zu sehen. Darunter Werbung. Wer gut verhandelt, kann im Jahr dank zahlungsfreudiger Sponsoren wie Adidas oder Converse, aber auch Hardwarefirmen wie Steelseries, Razer oder Sennheiser bis zu 300 000 Dollar verdienen. „Die Beträge, die wir derzeit den Spielern als Kompensation zahlen, um sie an unser Unternehmen zu binden, werden mit der Zeit immer geringer werden“, sagt Beck, „und bald schon völlig überflüssig sein.“

Die „Kompensationen“ sollen sicherstellen, dass die Spieler nicht fremdgehen. Sie verpflichten sich vertraglich, während des Riot-Ligabetriebs keine Games der Konkurrenz wie „Dota 2“ oder „Warcraft 3“ zu spielen oder gar an anderen Wettkämpfen teilzunehmen. Das brachte erst kürzlich einige Spieler auf die Barrikaden. Sie sahen sich um ertragreiche Deals betrogen. Beck lässt sich davon nicht beeindrucken: „Unsere Verträge basieren auf Vereinbarungen, die auch bei traditionellen Sportarten angewandt werden. Wer ‚League of Legends‘-Profi ist, soll nur für uns spielen. Kobe Bryant kann auch nicht plötzlich einfach in einer anderen Basketball- Liga auftauchen.“

Auch bei der Präsentation seiner Liga behält Beck die Kontrolle. Den Zuschlag zur Übertragung der League Championships Series erhielt die Streaming-Plattform Twitch erst nach erfolgtem Nachweis, Riots Broadcast-Qualitätsstandards gewährleisten zu können. Bevor Kommentatoren nicht eine Schulung durch CNN-Sprecher erfahren haben, wird niemandem ein Mikrofon vor die Nase gesetzt. Die Auswahl von Sponsoren übernimmt Beck persönlich, der Einsatz von Unparteiischen läuft über ihn.

Kurz: Beck hat aus Riot innerhalb kürzester Zeit einen Sportverband geformt. Eine Organisation, die sich abseits der Kernkompetenz Computerspielentwicklung mit eindrucksvoller Schnelligkeit eine E-Sport-Liga aufgebaut und als regulative Organisation an deren Spitze gesetzt hat. Längst gibt es bei Riot Abteilungen, die sich mit „League Operations“, „Player Management“ oder „Rules and Regulations“ beschäftigen. Unterstützung holt sich Beck bei Managern, Lobbyisten und Produzenten etablierter Sportligen und Fernsehsender. „In unserem Team sind Leute, die für die NFL arbeiten oder bei der Übertragung der Olympischen Spiele mitverantwortlich waren“, sagt Beck. In strategischen Fragen lässt er sich von Daniel Reed, Präsident der NBA D-League, beraten. Reed leitet den Ligabetrieb zur Entwicklung professioneller Basketballspieler, die den Sprung in die NBA nicht auf Anhieb geschafft haben. Quasi ein Förderprogramm für den NBA-Nachwuchs. Und genau das gibt es jetzt auch für die League Championships Series.

Seit Dezember 2013 ist Coca-Cola mit seiner Marke Coke Zero Hauptsponsor und Namenspatron der Challenger Series, der offiziellen „League of Legends“- Amateurliga. „Der Deal mit Coca-Cola ist wirklich einzigartig“, sagt Beck, „sie wollen nicht einfach ihre Brand überall draufpappen, sondern arbeiten mit uns an langfristigen Konzepten für den E-Sport.“

Mit der Verpflichtung dieses und anderer Bluechip-Sponsoren wie American Express erhofft sich Beck endgültig den Schlüssel zum Mainstream-Market gefunden zu haben und verspricht: „Im Gegensatz zur TV-Werbung verfolgen wir nur eine sehr limitierte Sponsor-Partnership-Strategie. Unsere Kanäle und Events werden nicht wild plakatiert sein wie Nascar-Autos.“

Riot wiederum profitiert von der starken Lobby der Sponsoren im Hintergrund. „Coke öffnet viele Türen für uns“, gesteht Beck. Da rücken selbst die größten Träume in unmittelbare Nähe. „Mit Coca-Cola haben wir bereits erste Gespräche geführt, wie Riot in Zukunft mit dem Internationalen Olympischen Komitee in Verhandlung treten kann.“ Beck geht für einen kurzen Moment in sich, lehnt sich nach vorne, um dann triumphierend zu verkünden: „Ich kann jetzt schon mit Gewissheit sagen, zu meinen Lebzeiten wird E-Sport olympische Disziplin.“